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Orpheus Trust - Verein zur Erforschung und Veröffentlichung vertriebener und vergessener Kunst

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Tätigkeitsbericht 2006

Statt einer Jubiläumsfeier ‚10 Jahre Orpheus Trust’ hat die Generalversammlung vom 22. Juni 2006 auf Vorschlag des Vorstands gemeinsam mit dem künstlerisch-wissenschaftlichen Beirat die freiwillige Auflösung des Vereins per 31. August 2006 und die Verfügung der Sammlungen nach Berlin beschlossen. Die Nachlassspender haben sich mit diesem Vorgehen und der Präferenz für das Archiv der Akademie der Künste Berlin einverstanden erklärt.

Eine ausführliche Darstellung dieser Entwicklung findet sich auf der Website des Orpheus Trust unter ‚Vermächtnis’. Hier soll noch ein wenig detaillierter auf die Hintergründe eingegangen werden.

Rettungsversuche
Das erste Halbjahr 2006 war von intensiven Bemühungen zur Rettung des Orpheus Trust, vor allem um eine Gleichziehung der Subvention durch das bka.kunst (Kunststaatssekretariat) mit der Stadt Wien geprägt. Sie sollten nicht fruchten.

In dem letzten Mitgliedernewsletter des Jahres 2005 hatte Primavera Gruber bereits berichtet
„dass der Vereinsvorstand in der Vorstandssitzung vom 28. November 2005 folgende einstimmige Beschlüsse gefasst hat:
1) Um seine Tätigkeit in einer angemessenen Weise fortsetzen zu können, benötigt der Verein Orpheus Trust für das Jahr 2006 EUR 300.000,- Subvention von der öffentlichen Hand, zu gleichen Teilen aufgeteilt zwischen Bund und Stadt Wien.
2) Für den Fall, dass dies nicht zustande kommt, wird der Vorstand die Auflösung des Vereins per Ende März 2006 vorschlagen.
Zur Sondierung des Interesses an den Beständen des Orpheus Trust hat Vorstandsvorsitzender Dr. E. Randol Schoenberg ein Schreiben verfasst, das an 35 Institutionen mit ähnlicher Zielsetzung im In-und Ausland ergangen ist, mit der Bitte um konkrete Vorschläge und Angebote.

Von den Subventionsgebern kamen keine Hinweise auf eine substantielle Erhöhung der Subvention. Wir sind daher bemüht, an Hand der bis 30. Januar 2006 eintreffenden Antwortschreiben, und in Rücksprache mit den Nachlassspendern, eine Lösung zu finden, die sowohl den Zielsetzungen und Erfahrungen des Orpheus Trust, dem Engagement und dem Vertrauen der Mitglieder als auch den statutarischen Verpflichtungen entspricht.

Wir möchten Sie daher bereits jetzt auf die Generalversammlung am 27. März 2006 aufmerksam machen, in der möglicherweise über die Vereinsauflösung abgestimmt werden muss.“

Die Mitarbeiterinnen, darunter Gründerin und Leiterin des Orpheus Trust Primavera Gruber waren bereits Ende 2005 zur Vorsicht gekündigt worden. In den ersten Monaten von 2006 mussten weitere Vertragsauflösungen in die Wege geleitet werden. Anfang März wurde ein Förderungsansuchen zur Vorbereitung der zum 10-Jahres Jubiläum vorgeschlagenen Klanginstallation ‚Orpheus.Klangwege.Wienweit’ von den Subventionsgebern abgewiesen; auch ein Forschungsansuchen beim Zukunftsfonds wurde abgelehnt. Die Stadt Wien bemühte sich noch bei der Landeshauptleutekonferenz um eine stärkere Förderung durch die einzelnen Bundesländer, und über Vermittlung eines Mitglieds kam ein Gespräch mit Bürgermeister Dr. Michael Häupl zustande, aber all das ergab keine konkrete Ergebnisse.

In der Generalversammlung im März 2006 musste der Vorstand also berichten: „um für den Ernstfall vorbereitet zu sein, sind wir mit dem Diaspora-Museum in Tel-Aviv, mit dem Leo Baeck Institute in New York und mit der Stiftung Archiv der Akademie der Künste in Berlin über eine Übergabe der Bestände im Gespräch.“ Diese drei Institutionen waren in ihren Antworten am deutlichsten auf die Wünsche des Orpheus Trust eingegangen. Die anderen eingelangten Interessensbekundungen (15 von 35 angeschriebenen Institutionen hatten reagiert) waren gewissenhaft geprüft und im März 2006 schriftlich bedankt worden. So wurden u.a. die Korrespondenzpartner der Musiksammlungen Direktor Dr. Leibnitz von der Österreichischen Nationalbibliothek und Direktor Dr. Aigner von der Wienbibliothek im Rathaus informiert.

Am 2. April 2006 erhielten unsere Mitglieder folgendes Mitgliederschreiben:

„Liebe, sehr geehrte Mitglieder,

umseitig finden Sie das Protokoll der Generalversammlung des Orpheus Trust. Wir haben uns gefreut, dass viele Mitglieder gekommen sind, um sich informieren zu lassen und mit uns über die anstehenden Entscheidungen zu diskutieren. Wir möchten Sie hiermit bereits auf die außerordentliche Generalversammlung am Montag 29. Mai 2006, 18.00 Uhr, im Literaturhaus aufmerksam machen, in der über die Auflösung oder den Weiterbestand des Orpheus Trust entschieden werden muss. Eine gesonderte Einladung folgt Anfang Mai.

Der Orpheus Trust will weiter arbeiten.
Wer lässt ihn?

Wir müssen uns trennen von der Praxis der weitgehend unbezahlten Leistungen und uns einer adäquaten Budgetierung und Struktur zuwenden. Für eine den komplexen Aufgabenstellungen angemessene Weiterarbeit, die Forschen, Dokumentieren, Beraten und Veranstalten umfasst, sind mindestens fünf Angestellte, Archiv- und Büroräumlichkeiten von ca. 150 m2 und eine entsprechende Infrastruktur nötig. Für das laufende Jahr braucht der Orpheus Trust daher als ersten Schritt eines mehrjährigen Stufenplans mindestens 300.000,- Euro seitens der öffentlichen Hand. Eine Entscheidung über eine Überbrückung des Fehlenden fällt im Mai.

Langfristiges Ziel wäre es, aus einem finanziell unterdotierten Verein ein österreichisches Institut für NS-verfolgte Musik im Rahmen einer europäischen Zusammenarbeit entstehen zu lassen. Erste Schritte in diese Richtung sollen am letzten Tag der Konferenz 'Face the Music' zu der wir Sie herzlich einladen, gesetzt werden.

Der Orpheus Trust steht entweder an einem Neubeginn oder er muss seine Arbeit beenden, die dann für Österreich verloren sein wird.“


Noch gab es also eine kleine Hoffnung, der Termin für die auflösende a.o. Generalversammlung wurde auf den 22. Juni verschoben: Die internationale Konferenz ‚Face The Music. Musik. Verfolgung. Freiheit.’, die auf Vorschlag des Orpheus Trust in Kooperation mit dem Bundesministerium für auswärtige und europäische Angelegenheiten vorbereitet wurde und vom 3.-5. Mai stattfand. Das detaillierte Konferenzprogramm findet sich unter ‚Veranstaltungen 2006’ und zeigt die große Vielfalt der Referate, Konzerte und Beiträge der Zeitzeuginnen zum NS-Exil, für die der Orpheus Trust bezüglich der Programmierung, Organisation und Durchführung verantwortlich war. 150 Anmeldungen zur Konferenz bestätigen das große Interesse für unsere Arbeit. Am letzten Tag wurde ein von Frank Harders-Wuthenow und Primavera Gruber erarbeiteter Vorschlag zur Schaffung einer ‚Europäischen Plattform für vom Nationalsozialismus verfolgte Musik’ als Resolution verabschiedet. Sie wurde in der Folge von zahlreichen Kollegen und Kolleginnen unterzeichnet.

Bereits vor und während der Konferenz hatten sich jedoch tiefgreifende Anschauungsunterschiede mit den Ansprechpartnern im Aussenministerium gezeigt: So brauchte es sehr viel Überzeugungskraft von unserer Seite (und Helfer von außerhalb) um wenigstens auch Dr. Barbara Zeisl-Schoenberg als Keynote Speakerin und Vertreterin der ‚second generation’ des NS-Exils nach Wien einzuladen.
Die Vorbereitung dieser großen Konferenz mit vier Konzerten, darunter einer konzertanten Aufführung der Kinderoper 'Brundibar' von Hans Krása war sehr arbeitsintensiv. Die hochbetagten Pianistinnen und Zeitzeuginnen Toni und Rosi Grünschlag waren die Stars des Eröffnungsabends und der Podiumsdiskussion und konnten auch von Primavera Gruber interviewt werden, aber auch sie brauchten eine liebevolle und zeitintensive Betreuung (die wir allerdings mit den Organisatoren von ‚Letters tot he Stars’ teilen konnten, da dort ebenfalls ein kurzer Konzertauftritt geplant war). Viel aufregender noch war die Organisation der tschechischen und ungarischen ‚Bands’, aber schlussendlich verlief alles doch sehr erfolgreich, auch dank des Teams von jungen Tagungshelfern. Der notleidende Verein Orpheus Trust musste allerdings ein Drittel der Gesamtkosten aus eigenem Budget tragen und wurde in einer Presseaussendung des BMEIA zur Konferenz de facto nicht einmal erwähnt.
So waren wohl auch unsere Hoffnungen, die mit diesem Projekt verbunden gewesen waren, nicht realistisch genug gewesen.

Abgesang
In der ersten Jahreshälfte befassten Mag. Sabine Reiter und Dr. Primavera Gruber sich nicht nur mit der Konferenzvorbereitung, sondern auch mit dem Einsammeln und der ersten Redaktion der Beiträge für den Tagungsband ‚Douce France?’ (Wien: Boehlau Verlag 2008). In den Sommermonaten war Primavera Gruber zuständig für das Einsammeln, Transkribieren und Redigieren von einem Teil der Beiträge für das Sonderheft der Österreichischen Musikzeitschrift ‚Musik. Verfolgung. Freiheit’ (ömz 8-9/2006), welches die Referate der Konferenz ‚Face The Music’ enthält. Daneben wurden unsere Archivbestände inventarisiert und überprüft.
Unser Wunsch nach Transparenz brachte eine intensive Kommunikationstätigkeit - Presseaussendungen, Newsletter, Mitgliederbriefe - mit sich. Immer schon um eine gewissenhafte und faire Kommunikation mit der Öffentlichkeit bemüht, verdoppelte sich nun dieser Einsatz. Administrative (Befassung aller Vereinsgremien, Einholung der Wünsche der Nachlassspender) und buchhalterische Tätigkeiten in Zusammenhang mit der drohenden Auflösung (Abfertigung, Lohnverrechnung, Vertragsauflösungen) sowie letzte Rettungsversuche nahmen darüber hinaus den größten Teil der Arbeitszeit ein.

Fritz Spielmann Fonds
Judith Kopecky (€500,- für CD-Produktion ‚Exiles’, Extraplatte), Martina Haager (€ 1.200,- für Filmdokumentation Wera Goldman) und Michel Cullin / Primavera Gruber (€1.000,- Publikationszuschuss ‚Douce France?’, Boehlau Verlag) erhielten Projektstipendien aus dem Fritz Spielmann Fonds.

Publikationen
Im Jahr 2006 erschienen drei Buchpublikationen mit Beiträgen Primavera Grubers für den Orpheus Trust. Das ‚Orpheus-Supplement’ in der ‚Zwischenwelt’ musste eingestellt werden. 'Douce France? Musik-Exil in Frankreich 1933-1945 / Musiciens en exil en France, erschien 2008 durchgehend zweisprachig im Boehlau Verlag.

Dr. Primavera Gruber


 

 



Marta Eggerth

   

 


 


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